Unsere Direktkandidatin Helle Sönnecken hat vor ein paar Tagen die Frauenberatungsstelle in Arnsberg besucht. Sie hätte einen einfachen Facebook-Post dazu machen können; stattdessen hat sie sich für ein Interview entschieden; vorallem, um auf das Thema so besser eingehen zu können. Es entstand ein kurzes Gespräch über Gewalt gegen Frauen und was zukünftig – auch von Seiten des Landes NRW – besser gemacht werden muss.
Hallo Helle,
du hast vor ein paar Tagen die Frauenberatungsstelle in Arnsberg besucht.
Warum ist es dir wichtig, dass wir dazu mehr machen als nur einen Beitrag auf Facebook und Co., beispielsweise dieses Interview.?
Weil es für mich ein sehr sensibles, fast intimes Thema ist. Frauen suchen die Beratungsstellen auf, wenn sie Sorgen oder Probleme haben, die sie nicht mit Freunden oder Familie teilen können, wenn sie nicht mehr weiter wissen oder Angst haben und sich bedroht fühlen. Und weil frauenrechtliche Themen in den sozialen Medien gerade im Wahlkampf oft schwierig sind und ich keine Plattform bieten möchte, diese wichtige Arbeit der Frauenberatung schlechtzumachen. Diese Arbeit möchte ich ausdrücklich würdigen, nicht nur durch ein einfaches Foto, dass das schnell weggeklickt wird, sondern durch ein Interview, auf das man sich ja einlassen muss.
Von welchen schwierigen Situationen von Frauen war denn von Seiten der Frauenberatungsstelle die Rede? Kannst du einige Beispiele, die dich vielleicht besonders berührt haben, wiedergeben?
Jede Stunde werden in Deutschland durchschnittlich 13 Frauen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Alle zweieinhalb Tage wird in Deutschland eine Frau durch eine Gewalttat ihres Partners oder Ex-Partners getötet. Es macht mich betroffen, dass viele Frauen, vor allem Frauen mit Einwanderungsgeschichte ihre Rechte nicht kennen oder sie wissen nicht, wann ihnen Unrecht getan wird. Auch dass in Deutschland offenbar wegen Corona die häusliche Gewalt zugenommen hat, macht mich sehr nachdenklich. Obwohl regelmäßig über das Thema häusliche Gewalt berichtet wird und trotz der MeToo-Bewegung ist das Thema Gewalt gegen Frauen gesellschaftlich noch marginalisiert. Es ist noch gar nicht lange her, da wurde über das Thema Missbrauch ein großes Tuch des Schweigens gelegt. Es ist nicht selten, dass Frauen sehr viel später plötzlich von diesen Erlebnissen eingeholt werden und diese dann aufarbeiten müssen. Insbesondere, wenn es sich um Vergewaltigung während eines Krieges, also um ein Kriegsverbrechen handelt.
Findest du, die Politik in NRW hat die Probleme von Frauen im Blick? Ich meine im Allgemeinen aber auch die besondere Situation von Frauen, die Gewalt ausgesetzt waren?
Nein, das macht sich insbesondere dann bemerkbar, wenn Frauen als Zeuginnen oder Geschädigte im Gericht angehört werden und es in den meisten Amtsgerichten keine separaten Wartezimmer gibt, wo die Frauen geschützt sind und ihren Peinigern nicht unmittelbar gegenübergestellt werden. Frauen sind dort in einer emotionalen Extremsituation selbst dafür verantwortlich, eine Begleitperson mitzubringen. Es mangelt daran, sich in diese Situationen hineinversetzen zu können und die Opfer ganzheitlich, also auch nach der eigentlichen Gewaltsituation, zu schützen. Wir brauchen mehr Flexibilität im Bereich Unterbringung. Es wird Frauen ein Frauenhaus zugewiesen, wo noch Platz ist. Es gibt jedoch Fälle, wo eine größere räumliche Trennung vom ehemaligen Wohnort erforderlich ist. Wir brauchen auch mehr Flexibilität bei der Unterbringung von Klein- und Kleinstkindern in Kindertagesstätten, sogenannte Notplätze, die zu jeder Jahreszeit und für unterschiedliche Zeiträume genutzt werden können, damit die Kinder einen möglichst normalen Tagesablauf gemeinsam mit anderen Kindern erleben können. Und wir brauchen mehr sozialen Wohnraum, damit Frauen die Frauenhäuser auch wieder verlassen und sich ein neues Leben aufbauen können. Wir brauchen einen Bürokratieabbau für die Beratungsstellen. Die Mitarbeiter*innen sind Sozialarbeiter*innen, keine Buchhalter*innen! Die komplizierte Abwicklung von Fördergeldern allein nimmt viel zu viel Zeit in Anspruch.
Was muss deiner Meinung nach der Landtag in seiner nächsten Legislaturperiode angehen, um das Leben von Frauen in Not zu verbessern?
Zunächst einmal muss deutlich gemacht werden, dass häusliche Gewalt viel früher beginnt als mit einem blauen Auge. In den meisten Fällen geschieht so etwas mit kleinen, kaum auffälligen Situationen. Die Frauen entfernen sich vom Freundeskreis und der Familie, isolieren sich, werden dadurch mit der Zeit immer abhängiger vom Partner und sind oftmals nicht in der Lage dies selbst zu erkennen. Deshalb wünsche ich mir mehr Aufklärung und Unterstützung für Menschen im direkten Umfeld der Frauen, damit schon vor einer offensichtlichen Eskalation geholfen werden kann. Die während Corona angebotene digitale Beratung muss aufrecht erhalten bleiben, denn diese bietet den Frauen immer noch eine gewisse Anonymität und sie können Angebote auch nutzen, wenn sie nicht mobil sind. Auch Kinder benötigen eine engmaschige Begleitung, gerade weil sie oft in emotionale Konfliktsituationen geraten oder vom verlassenen Elternteil instrumentalisiert werden, um die Trennung zu erschweren. Hier sollten Frauen mehr Rechte gegeben werden, wie zum Beispiel in Extremsituationen das alleinige Sorgerecht einfacher erlangen zu können, auch wenn das Kind selbst nicht von der direkten Gewalt betroffen ist. Um die Begleitung von nicht-deutschsprachigen Frauen zu erleichtern, sollte es eine vereinfachte Zertifizierung von Übersetzer*innen geben, denn diese sind aktuell schwer erreichbar und in der Übersetzungsqualität nicht immer die besten. So wären beispielsweise Arztbesuchen und Behördengänge auch kurzfristig möglich.
Danke für das Gespräch!
Die Fragen stellte Jörg Rostek
Weitere Infos zu den Zielen der GRÜNEN in Sachen Frauenrechte
Link: https://gruene-nrw.de/frauenpolitik-gleichberechtigung/