Von Sandra Stein
Die erschütternden Morde von Aschaffenburg haben auch mich tief betroffen gemacht. Als Mutter von drei Kindern kann ich die Wut und Trauer vieler Menschen nachvollziehen. Doch gerade in solch aufwühlenden Zeiten dürfen wir uns nicht von Emotionen zu politischen Alleingängen verleiten lassen – erst recht nicht um den Preis, europäisches und deutsches Recht infrage zu stellen oder unsere gemeinsamen Grundwerte zu beschädigen.
Wir leben in einer Zeit großer geopolitischer Unsicherheiten: Kaum an der Macht, lässt Donald Trump in den USA viele seiner Drohungen innerhalb weniger Tage Wirklichkeit werden. Wladimir Putin führt einen brutalen Krieg gegen die Ukraine und schreckt möglicherweise nicht davor zurück, weitere Staaten Europas anzugreifen. Gerade jetzt brauchen wir einen kühlen Kopf, besonnene Politik und vor allem eins: Zusammenhalt in Europa. Die Antwort auf diese Herausforderungen darf nicht „Germany first“ lauten – sie muss „Europe united“ sein.
Doch steht die CDU unter Friedrich Merz noch für diese europäische Verantwortung? Und was geschieht mit der Seele dieser Partei, die einst als staatstragend galt? Offenbar stört es Merz nicht mehr, wenn die in großen Teilen rechtsextreme AfD seinen Forderungen im Bundestag zustimmt – ein Szenario, das er selbst noch vor Kurzem ausgeschlossen hatte. Sein Fünf-Punkte-Plan setzt auf menschenrechtlich hoch problematische Positionen und nationale Abschottung statt auf europäische Lösungen – eine Kehrtwende für eine Partei, deren prägende Persönlichkeiten wie Konrad Adenauer und Helmut Kohl sich dem europäischen Gedanken verschrieben hatten. Es ist ein Wendepunkt in der politischen Kultur unseres Landes.
Besonders bedenklich ist die neue Rhetorik von Friedrich Merz: „Kompromisse sind bei diesem Thema nicht mehr möglich“, erklärte er. Doch eine demokratische Politik, die Alternativlosigkeit propagiert, verliert ihren innersten Kern. Es geht um mehr als politische Positionen – es geht um den Erhalt von Koalitions- und Bündnisfähigkeit, um Respekt gegenüber politischen Partnern und den Geist der Demokratie. Ganz zu schweigen von Werten wie Humanität und Nächstenliebe. Ist das noch konservative Politik? Ich fürchte nicht.
Selbstverständlich müssen aus der Tat von Aschaffenburg Konsequenzen gezogen werden. Doch während Friedrich Merz einfache Antworten auf falsche Schlussfolgerungen präsentiert, bleiben zentrale Fragen unbeantwortet: Wie schaffen wir echte Sicherheit? Warum gehen wir die ineffizienten Doppelstrukturen unserer Sicherheitsbehörden nicht an? Warum nutzen wir die digitalen Möglichkeiten für eine effektivere Zusammenarbeit nicht besser? Wann sorgen wir dafür, dass Gefährder rascher erkannt und, wenn nötig, in Gewahrsam genommen werden? Wer wirklich für mehr Sicherheit sorgen will, muss diese Herausforderungen angehen – nicht reflexartig Abschottung fordern und dafür eine menschenrechtswidrige Zurückweisung Schutzsuchender sowie die Zustimmung von rechtsextremen Kräften in Kauf nehmen.